„Wald und Klimawandel in der Dübener Heide:
Eine Wanderung durch Erlebnis- und Konflikträume“

 

Die IGD hat in Kooperation mit dem Naturpark Dübener Heide am 28. und 29. Oktober 2019 eine Wanderung mit insgesamt 30 Teilnehmern (Geflüchteten, Migranten und Mehrheitsbevölkerung) durchgeführt. Als Migrantenorganisation (MO) sind wir be­strebt, neben migrantischen Schwerpunktthemen wie u.a. der Stärkung von Integration und Partizipation, der Schaffung besserer Beteiligungsmöglichkeiten für Migranten und der interkulturellen Öffnung von Politik und Verwaltung, verstärkt auch postmigrantische Themen zu besetzen. Solche Themen, die einen starken Querschnittscharakter besitzen, von gesamtgesellschaftlicher Relevanz sind und alle Menschen unabhängig ihrer Herkunft betreffen, wie der Klimawandel, Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Als IGD möchten wir zur Sensibilisierung dieser Thematiken innerhalb der migrantischen Communities beitragen.

Im Rahmen des Projekts Deine Werte – Meine Werte – Unsere Werte lassen sich Aktivitäten und Veranstaltungen zu den Themen Klimawandel und Umweltschutz organisieren, da sich hier über Werte und Normen unseres zukünftigen Zusammenlebens global trefflich debattieren lässt. Neben dieser grundlegenden Zielsetzung sollte die Wanderung in der Dübener Heide die Teilnehmer auch konkret zur zukünftigen Entwicklung des Klimas, zu den erwartbaren lokalen Veränderungen für Mensch und Natur und zu den konkreten Auswirkungen auf den Wald und die angrenzende Landwirtschaft informieren. Wir haben unterschiedliche Fragestellungen erörtert, wie u.a. die Hintergründe des
Braunkohletagebaus und seine Auswirkungen auf den Klimaschutz, notwendige Maßnahmen der Klimaanpassung oder die Möglichkeiten der nachhaltigen Energienutzung in der Dübener Heide.

An den zwei Tagen waren insgesamt 17 Gesprächspartner zu diversen Themen Teil eines Austauschs auch zu den vielfältigen Konflikten der Waldbewohner und Waldnutzer. Auf der ca. 23 km langen Wanderung an beiden Tagen nahmen insgesamt 30 Personen teil. Neuzugewanderte Migranten attestierten nach zwei Tagen, dass ihnen die Virulenz der innerdeutschen Debatte über den Klimawandel und die sehr konträren Meinungen dazu bisher so nicht bewusst gewesen seien. Aus diesem und anderen Gründen planen wir als IGD mit unserem Partner Naturpark Dübener Heide im Frühsommer des Jahres 2020 die Wiederholung mit einem variierten Programm und einer neuen Teilnehmergruppe sowie weitere Aktivitäten wie u.a. einer Nachtwanderung in Verbindung mit dem Frühjahrsfest Nowruz oder einer Seminarwerkstatt zum Bau von Holzbänken für Wanderer in der Dübener Heide.

 

Ablauf der Wanderung: Die Wanderung begann am ersten Tag mit einem zünftigen Frühstück im Radiser Gutshof in Radis/Kemberg, bei dem das Programm der folgenden zwei Tage durch Dr. Torsten Reinsch vorgestellt wurde. Evelin Erdmann, die Bürgermeisterin des Ortsteils, und die Ortschronistin, Isabella Weber, berichteten über die lange Geschichte

 

des Orts, der durch die Wende 1989 in doppelter Hinsicht stark beeinflusst wurde. Einerseits war die Einstellung des Braunkohletagebaus nach der Wende Garant für die Weiterexistenz von Radis, da der Ort ursprünglich dem Tagebau weichen sollte. Andererseits hat Radis wie andere Ortschaften Ostdeutschlands auch einen merklichen Wegzug von jungen Menschen zu beklagen.

Die Gruppe erfuhr in Gesprächen mit zwei Landwirten, dass die Landwirtschaft in Deutschland sehr hohe Auflagen zu erfüllen habe, und von vielen Seiten zu Unrecht beschuldigt werde, nachlässig mit der Umwelt umzugehen. Gerade die Landwirte seien doch die Hauptakteure der Kultivierung und Pflege von Kulturlandschaft. In der öffentlichen Debatte werde z.B. bei der Ausbringung von Gülle oft nur über mögliche Folgen einer hohen Nitratbelastung be­richtet. Für Landwirte stellt Gülle dabei auch ein sehr hochwertiges Produkt dar mit dem natürlich gedüngt werden könne.

 

Im weiteren Verlauf stellte der Bürgermeister aus Kemberg, Torsten Seelig, die Situation der Bieber in der Dübener Heide in Zeiten des Wassermangels vor. Auch hier stehen wie übrigens bei der Wiederansiedlung des Wolfs aus Sicht der Umwelt und der Diversität sehr positiven Seiten negative Auswirkungen auf die Weidetiere der Landwirte entgegen, die vom Wolf gerissen werden.

Am Nachmittag des ersten Tages stand der Wald und die Bienen als Waldbewohner im Mittelpunkt des Interesses mit insgesamt vier unter­schiedlichen Vorträgen von György Astalosz, Forstwirt a.D., Klemens Wefel, Forst­verwaltung Gniester Schweiz, Robert Klauck, Imker und Jürgen Kristin vom Betreuungs­forstamt Dessau.

 

Alle Vortragenden machten klar, dass der Wald in Deutschland sehr stark durch den Klimawandel beeinträchtigt ist, sehr komplexe Auswirkungen des Klimawandels zu beobachten sind und der Wald nur noch zum Teil seine angestammte Funktion als Wasser- und CO-2 Speicher erfüllen kann. Alleine in Sachsen-Anhalt seien ca. 70.000 ha Wald in den vergangenen zwei Jahren von Schädlingen befallen worden. Durch das wärmere Klima hat der Schädlingsbefall durch Borkenkäfer stark zugenommen, weil die natürliche Abwehrreaktion der Bäume, die Produktion von Harz, durch die Trockenheit bis 1,80 Tiefe, stark eingegrenzt ist. Klimawandel bedeutet übrigens plastisch, dass sich Mitteldeutschland und damit die Dübener Heide klimatisch um ca. 4 Breitengrade nach Süden bis etwa nach Südungarn und Südrumänien verschoben hat und eine Höhenverschiebung von 500 auf 100 m ü NN zu beobachten ist.

Durch das Fällen der vom Borkenkäfer befallenen Bäume sind große Lichtungen entstanden und es ist dadurch auch zu einer Bodendegradation gekommen. Die Forstwirtschaft sei sich in Deutschland noch nicht einig, wie man auf diese Herausforderungen reagieren könne und habe noch keinen Masterplan entwickelt. Angedacht werden die Züchtung und flächendeckende Anpflanzung von wasser-resistenteren Baumsorten, z.B. aus Regionen des östlichen Balkans. Die Kieferregion des nordostdeutschen Tieflandes habe sich von einem verjüngungsfreudigen mischwaldtauglichen Zustand degradiert und die künstliche Waldverjüngung bereite Probleme und behindere die natürliche Waldverjüngung. Die Warnsignale der Wissenschaft zur Klimaerwärmung werden mittlerweile von allen Beteiligten akzeptiert.

Und trotzdem sind die zeitlichen Abläufe bisher nicht in Form eines Masterplans für Deutschland erstellt worden. Unter Anleitung von Klemens Wefel wurden dann auf einer Lichtung drei vom Borkenkäfer befallenen Bäume gefällt.

 

Das Sterben der Bienenvölker durch den Klimawandel sei auch in der Dübener Heide stark zu spüren. Dazu kommt, dass nach der Wende auch viele Hobbyimker ihre Tätigkeit eingestellt hätten. Robert Klauck machte anschaulich deutlich, welche Leistung die Natur und wir Menschen den Bienen verdanken. So bedarf es für ein Glas Honig von 500 g 50.000 einzelner Flüge von Bienen, was einer Strecke von 100.000 Kilometern oder einer 2,5-maligen Umrundung der Erde am Äquator gleichkommt. Und dabei vollbringen die Bienen „ganz nebenbei“ die Bestäubung so vieler Pflanzen und Bäume, die ohne Bienen keine oder deutlich weniger Früchte und Ertrag hervorbrächten.

 

Zum Ende des ersten Tages nach fast 12 Stunden Wanderung und Programm kamen die Teilnehmer im Rahmen eines Lagerfeuers zusammen. Dort diskutierten die Teilnehmer bei Bier und Wein zu Werten, die das Leben in Deutschland bestimmen und über diverse Konzepte von Identitäten(en) und Heimat(en). Und zum guten Schluss des ersten Abends verstummten die ernsten Gespräche und das Gitarrenspiel bei Lagerfeuerromantik übernahm die Regie.

 

Im Mittelpunkt des Vormittags des zweiten Tages standen die Themen Wald und Nachhaltigkeit, Luther Moor und Vernässung und die Gruppe wurde von Sven Kröber von merkmal e.V. begleitet. Herr Kröber gab zur geologischen Entstehung der Dübener Heide A uskunft, die in der letzten großen Eiszeit vor 450.000-300.000 Jahren zustande gekommen sei. Große maritime Gletscher aus dem heutigen Skandinavien schoben Erdmassen in der Dübener Heide so zusammen, dass die Braunkohleschichten, die durch die Inkohlung von großen Pflanzenbeständen zustande kamen, nach oben geschoben wurden. Die Dübener Heide war damals mit einer bis zu 800 Meter dicken Eis- und Schneeschicht bedeckt.

Auf der antiken Via Imperii, der römischen Hauptstraße vom Mittelmeer bis zur Ostsee, wanderte zum Teil Martin Luther auf seinen Wanderungen um Wittenberg und Leipzig. Erstmals im Jahre 1538 wurde eine Walderfassung in Gang gesetzt und Luther hat Impulse für den Waldschutz geliefert. Der Wald war damals sehr ungepflegt, wild und die Menschen haben ich nicht gepflegt, worüber sich Luther beschwerte. Mischkultur bietet Seminare zum Bau von Parkbänken und Waldbauexkursionen an. Es bestehen erhebliche Konflikte zwischen den Bewohnern des Waldes und der Forstverwaltung beim Thema Moorgebiete, sowie dem Anbau und der Vernässung bestehender Flächen.

Paula Passin führte in das klimanagepasste Gärtnern und in die Mischkultur zur Selbstversorgung ein. Der Klimawandel habe neben vielen negativen, auch positive Auswirkungen, u.a. mit der Ausweitung der Vegetationsphase, besseren Erträgen und deutlich geringerer Braunfäule. Zum klimangepassten Gärtnern zählte sie u.a.: Tröpfchenbewässerung, Nutzung von Wasser aus Regenwasser-Rückfangbehältern, Gewächshäuser, keine Chemie und die Haltung natürlicher Feinde der Schädlinge.

 

Zum Ende des zweiten Tages erhielten die Teilnehmenden von dem Schweinezüchter Dr. Markus Bötsch noch Informationen zu bestehenden Hürden der Schweinezucht aber auch zu sehr spannenden Aspekten.  So seien Schweine sehr intelligente Tiere, die einen vielfach stärkeren Geruchssinn als Hunde besäßen und es deswegen auch dressierte Schweine in der Kriminalistik gebe.

 

Am Ende trafen sich viele der teilnehmenden Referenten und die Wanderer am Bergwitzsee, der ein ehemaliges Braunkohletageabbaugebiet und später schon in Zeiten der DDR als Naherholungsgebiet fungierte. Der See und die Dübener Heide verabschiedeten sich so von ihrer besten Seite und luden die Wanderer zum Verweilen ein und auf ein baldiges nächstes Mal.

Das gesamte Programm finden Sie als PDF-Datei unter:

Wanderung durch Dübener Heide